Einen schönen Abend euch allen.
Ich habe heute lange, lange überlegt was ich schreiben soll. Ich weiß immer noch nicht, ob ich es machen soll, denn es tut immer noch weh.
Heute vor genau einem Jahr hatte ich das letzte Mal offiziell Kontakt zu dem Chor, in dem ich 10 Jahre lange gesungen habe (im letzten November wären es zumindest 10 Jahre geworden).
Ich hätte NIE gedacht, dass es mich so lange beschäftigen würde. Aber ich fange lieber am Anfang an:
Im Novemeber 1999, genauer am 24., begleitet ich meine Freundin Ilenchen zum Jugendchor ihrer Kirchengemeinde. Ich hatte zuvor genau 1 Mal die Kirche betreten. Sie nahm mich also mit und stellte mich allen vor. Ich war total eingeschüchtert, nicht nur von den Mädchen, die alle 1-2 Jahre älter waren als ich, sondern vor allem vor dem Chorleiter, der kaum größer als ich und blind war. Seitdem Zeitpunkt als er sich an das Klavier setzte und anfing zu spielen, bewunderte ich ihn und mache es auch heute noch. So einen Mann habe ich noch nie kennengelernt und werde es wohl auch nie wieder. Wie oft trifft man schon einen blinden Taiwanesen, der Klavier, Geige, Pauke und Trompete spielt und als Tenor die Hallen füllt? Er wurde im Laufe der Jahre mein bester Freund. Oft ging mit anderen Mädels nach der Probe zu ihm nach Hause, wir aßen Pizza oder gebratene Nudeln (bei ihm habe ich gelernt mit Stäbchen zu essen) oder bereiteten Auftritte vor. Immer öfter übernahm ich wichtige Aufgaben im Chor: alle aufwärmen, falls er später kam, Kopien machen, Sample-CDs brennen, … Ich wurde auch zu einer tragenden Stimme im Chor, sei es nun als Sopran oder Alt (ich bin Mezzosopran). Ich durfte dann auch 2002 bei dem Abschlusskonzert eines Workshops mit 300 Sängerinnen und Sängern aus der Umgebung ein Solo singen (es war das erste Sololied und der zweite Titel überhaupt des Konzertes), im Prinzip durfte ich den Abend eröffnen. Bis auf den letzten Ton, der nach langem Halten etwas wackelte, weil ich keine Luft mehr hatte, war es ein super Auftritt. Ab da waren auch meine Eltern davon überzeugt, dass ich singen kann :) Bis ich den Chor verließ, durfte niemand anderes dieses Lied singen. wir haben das eigentlich immer so gehalten, bestimmte Lieder durften nur von bestimmten Mitgliedern gesungen werden. Ich will auch gar nicht wissen, wer mein Lied heute im Chor singt.
Im Jahre 2005 schloss ich dann die Schule ab (mit einem besseren Abiturzeugnis als erwartet) und fing eine Ausbildung als Sozialassistentin an. Ich bekam im Chor immer mehr Verantwortung, wurde immer selbstsicherer (was ich vor allem der Ausbildung verdanke). Im Sommer 2007, kurz bevor mein Studium anfing, durfte ich ihn dann bei einem großen Workshop als Chorleiter vertreten. Ich und meine Freundin Caro gehörten somit zum Organisationsteam des Gospelkirchentages 2008 in Hannover. Es war übrigens ein tolles Wochenende.
Wenige Wochen später bekam ich dann die Aufgabe ihm bei den Proben eines neuen, jüngeren Chores zu helfen. Ich kam also jede Woche früher von der Uni nach Hause um noch vor dem eigentlichen Chor mit den Jüngeren zu proben. Ich hatte eine Zeitlang auch eine Schülerin (Stimmbildung, also Atmung und Hörtraining und so, kein Gesangsunterricht), die nahm das Ganze leider überhaupt nicht ernst und nach 4 Wochen brachen wir die Aktion ab. Damit fing des Ende an. Ich wurde immer unzufriedener, hatte das Gefühl nur noch als Babysitter zu fungieren. Als dann im darauffolgenden Sommer auch noch unser 10jähriges Jubiläum anstand und ich eh schon Stress mit der Uni und mit meinen Eltern hatte, platzte mir immer öfter der Kragen.
Es braucht seeeeehr lange um mich so wütend zu machen, dass ich laut werde und zittere vor Wut (ist mir bis jetzt in fast 25 Jahren, zumindest seitdem ich mich erinnern kann, genau 3 Mal passiert). Aber immer öfter ging mir der Chor nur noch auf den Keks, besonders weil die Jüngeren, die in den älteren Chor integriert wurden, nur wenig Disziplin an den Tag legten. Natürlich habe ich von ihnen kein superpenibles Verhalten erwartet, wer kann das schon von 13-14 Jährigen in ihrer Freizeit verlangen. Ich hatte mehr Probleme mit unserem Chorleiter, der bei uns in dem Alter nämlich um einiges strenger und konsequenter war. Es blieb also bei mir den “Buhmann” zu spielen, damit Ordnung reinkam. Es kann nämlich nicht angehen, dass jemand zu einem Auftritt entweder die Texte nicht lernt oder aber die Noten vergisst.
Ich habe die organisatorischen Sachen gerne gemacht, ich fühlte mich als zweite Hand unseres Leiters. Dieses Gefühl und diese Einstellung führte aber dazu, dass sich der eigentliche Chorleiter von mir bedroht fühlte und immer seltener Kritik und Verbesserungsvorschläge von mir annahm. Selbst, als aufgrund der schwierigen Situation mit den Jüngeren, die Mitglieder den Chor verließen, die ihn eigentlich gegründet hatten, ließ er sich nicht beirren. Schließlich würden wir uns ja alle verändern.
Das nahm ich dann noch bis zum Sommer letzten Jahres hin. Als ich mich dann aber telefonisch bei ihm meldete und anmerkte, dass ich unzufrieden und eigentlich todunglücklich über die Situation bin, schlug er mir vor, mir doch einen neuen Chor zu suchen, er könne ja an meinen Gefühlen nichts ändern. Er sei schließlich der Leiter und nicht ich. Man könne von den Jugendlich heute nicht mehr das verlangen, was er von uns verlangt hatte (circa 5 Jahre zuvor!!!). Als ich aber meinte, dass es doch aber die Aufgabe der Älteren sei den Jüngeren genau sowas beizubringen, fingen wir an uns thematisch im Kreis zu drehen. Ich machte etliche Vorschläge um den Stress zumindest kurzfristig zu verringern, aber die wurden mit “Ich überleg’s mir” oder “Ich glaube nicht, dass das funktioniert” abgetan.
Die Wut staute und staute sich. Ich schrieb ihm am Tag darauf eine Email, in der ich meine Gefühle noch mal erklärte und wieder der Rat dann doch zu gehen, ich wäre einfach schon zu alt für den Chor. Dann noch ein Versuch, dass ich mich als eine Art Assistentin gefühlt habe, dass ich die Verantwortung genossen habe und nicht einsehe, mich durch so eine Aussage (ungefähres Zitat von ihm:”Warum musst du alles kaputt machen? Wenn du dich entschuldigst, werde ich dir vergeben und wir vergessen das Ganze”) abspeisen zu lassen. Kurz darauf teilte ich dann dem Chor über studivz mit, dass ich den Chor verlasse, weil ich Streit und Probleme mit einer Person im Chor hätte.
Damit war die Sache für mich erledigt. Bis heute hat sich niemand direkt deswegen an mich gewandt. Ich habe noch mehrmals geschrieben, aber selbst von meinen besten Freunden kam lange nichts. Erst viele Wochen später erfuhr ich dann auch warum. Mein lieber Exchorleiter hatte meine Emails, in denen ich mich ausgekotzt hatte (ich hatte nie Namen genannt oder mich über eine Person direkt beschert, sondern nur über ihn und meine Gefühle gesprochen) an alle anderen geschickt. Und das kann ich ihm bis heute nicht verzeihen und bis er nicht zu mir kommt und sich dafür entschuldigt und dem Chor erklärt, dass ich nicht die Böse in diesem Stück war, werde ich ihm das auch nicht verzeihen. Er hat mein Vertrauen missbraucht und es mit Füßen getreten. Von einem Mann, der die 40er erreicht hat, und behauptet hat, ich wäre wie eine Tochter für ihn, hätte ich einfach mehr erwartet.
Zu Weihnachten hat mich dann eine Freundin gebeten zum Chor zu kommen und für das Weihnachtskonzert mit zu proben. Ich habe natürlich abgelehnt. Zum einen, weil ich nicht wollte, dass er denkt, ich käme zurückgekrochen, zum anderen hatte ich Angst vor den anderen, denn ich wusste nicht, was er ihnen erzählt hatte. Sie konnte mich aber dazu überreden mit ganz nach hinten an die Tür in der Kirche zu setzen. Dort begegnete ich dann auch zwei der jüngeren Mitglieder, die auch vorher schon keine Probleme mit mir hatten. Sie kamen fröhlich aber verhalten auf mich zu. Sie freuten sich wirklich, ich bat sie aber den anderen nichts von mir zu erzählen, schließlich sollten sie ja gleich noch singen. Und das war auch besser so, denn einigen begegnete ich später draußen vor der Kirche und obwohl sowieso Schnee lag, waren ihre Blicke wirklich eisig. Ich wusste, warum ich nicht mit zur Probe gegangen war. Später wurde mir dann auch noch gesagt, dass er das auch besser fand. Also hatte er ihnen doch etwas erzählt, was mich schlecht aussehen ließ.
Mich hat noch nie in meinem Leben ein Mensch, den ich 10 Jahre meinen besten Freund nannte, so tief verletzt. Und eigentlich verzeihe ich schnell, vergesse aber nicht. In diesem Fall ist es anders. Ich vergesse oft den Chor, habe freitags, wenn die Probe sein sollte, kein schmerzliches Ziehen mehr in der Brust, aber sobald ich daran denke, kann ich mich nicht entscheiden, ob ich heulen oder schreien soll. Ich habe auch das Singen (ungewollt) fast aufgegeben. Ich singe einfach nicht mehr so gerne wie früher bzw. bin mir meines Könnens nicht mehr sicher.
Im August 2009 ist ein Teil von mir gestorben bzw. liegt im Koma. Ich warte noch auf den Menschen, der mich wiederbeleben kann und aufweckt.
Ich habe gelernt wie es ist, Schmerzen zu ertragen.
Ich habe gelernt nicht weiter nachzufragen.
Ich habe gelernt in einem Haufen Scherben zu leben
und ich habe gelernt immer nachzugeben.
Ich habe gelernt meine Tränen einfach fließen zu lassen
und gelernt wie es ist andere Menschen zu hassen.
Ich habe gelernt mein Herz gebrochen zu sehen
und gelernt die Liebe einfach zu umgehen.
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